Ergänzend zum Artikel Die Ideen der Galois-Theorie soll hier noch ein kurzer Überblick über die "moderne", das heißt zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte, Sichtweise der Galois-Theorie gegeben werden, wie sie heute in jedem Algebra-Buch dargelegt wird (so auch in Kapitel 10 meines eigenen Buches). Anders als bei dem genannten Artikel wird im Folgenden die Kenntnis grundlegender algebraischer Begriffe, wie man sie im ersten Semester Mathematik lernt, vorausgesetzt (für diese Begriffe wurde allerdings jeweils ein Wikipedia-Link gesetzt).
Hier kurz erörtert werden sollen die beiden folgenden Fragen:
Wenden wir uns zunächst der zweiten Frage zu: Auch wenn die vier genannten Problemstellungen zunächst sehr unterschiedlich erscheinen, so lassen sie sich doch auf einen gemeinsamen, rein algebraischen Kern zurückführen. So ist, wie man durch eine relativ elementare Analyse geometrischer Konstruktionsschritte zeigen kann, eine Strecke genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn ihre Länge als Ausdruck mit verschachtelten Quadratwurzeln dargestellt werden kann. Beispielsweise ist das regelmäßige Siebzehneck, wie Carl Friedrich Gauß 1796 entdeckte, mit Zirkel und Lineal konstruierbar, weil es eine Darstellung
gibt. Eine nachgewiesene Nicht-Existenz analoger Quadratwurzel-Darstellungen für die Zahlen
würde damit die Unmöglichkeit beweisen, mit Zirkel und Lineal
Verwendet man den Begriff des Körpers, dann entspricht jedem geschachtelten Wurzelausdruck eine Kette von schrittweisen Körpererweiterungen, von denen jede einzelne durch die Adjunktion, das heißt die Hinzufügung, einer Wurzel aus einem Element des vorangehenden Erweiterungskörpers entsteht. Beispielsweise startet man die Konstruktion des regelmäßigen Siebzehneckes entsprechend dem oben angeführten Wurzelausdruck am günstigsten mit dem Zwischenkörper
Mit dieser allgemeinen Transformation, bei der jedem geschachtelten Wurezlausdruck eine Kette von schrittweisen Körpererweiterungen zugeordnet wird, gelangt man fast automatisch zu demjenigen Problem, das Gegenstand der Galois-Theorie ist:
Welche endlichen, das heißt als Vektorraum endlichdimensionalen, Erweiterungen gibt es ausgehend von einem gegebenen Grundkörper K? Dabei beantwortet der Hauptsatz der Galois-Theorie ganz konkret die Frage, welche als Zwischenkörper bezeichnete Körper zwischen einem Grundkörper K und einem endlichen Erweiterungskörper L liegen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die Methode dazu besteht darin, alle Untergruppen zu einer bestimmten endlichen Gruppe, nämlich der so genannten Galois-Gruppe Gal(L/K), zu suchen: Zu jeder dieser Untergruppen gehört genau ein Zwischenkörper und umgekehrt. Darüber hinaus können aus den Eigenschaften jeder dieser Untergruppen auch entscheidende Eigenschaften des zugehörigen Zwischenkörpers abgelesen werden.
Ein Beispiel verdeutlicht schnell, worum es geht. Dazu greifen wir auf die im Artikel Die Ideen der Galois-Theorie ausführlich untersuchte Gleichung
x4 - 4x3 - 4x2 + 8x - 2 = 0
zurück. Gesucht sind alle Zwischenkörper, die zwischen dem durch die Koeffizienten erzeugten Körper Q der rationalen Zahlen und dem nach Adjunktion sämtlicher Lösungen entstehenden Körper Q(x1,x2,x3,x4), dem so genannten Zerfällungskörper der Gleichung, liegen. In der folgenden Abbildung dargestellt sind zunächst die Untergruppen der Galois-Gruppe Gal(Q(x1,x2,x3,x4)|Q) und dann die dazu korrespondierenden Zwischenkörper (die Bezeichnungen der Gruppenelemente entsprechen denen im genannten Artikel):
Die allgemeine Aussage des Hauptsatzes der Galois-Theorie ist an die Voraussetzung gebunden, dass die gegebene Körpererweiterung L/K
Für Unterkörper der komplexen Zahlen gilt damit der Hauptsatz der Galois-Theorie für solche Körpererweiterungen L/K, bei denen L der Zerfällungskörper einer algebraischen Gleichung mit Koeffizienten im Körper K
xn + an-1 xn-1 + ... + a1 x + a0 = 0
ist: L = K(x1,...,xn), wenn x1, ..., xn die Lösungen der Gleichung sind.
Unter den genannten Voraussetzungen besagt der Hauptsatz der Galois-Theorie eine 1:1-Korrespondenz der Zwischenkörper zu den Untergruppen der so genannten Galois-Gruppe Gal(L/K), das ist per Definition die Gruppe aller Automorphismen des Körpers L, die sämtliche Elemente des Körpers K unverändert lassen. Diese Bijektion zwischen den Untergruppen einerseits und den Zwischenkörpern andererseits erlaubt es insbesondere, alle Zwischenkörper mit Hilfe der (einfacheren!) Untersuchung der (endlichen!) Galois-Gruppe zu finden.
Wir geben zunächst einen groben Überblick darüber, wie die die Bijektion Eigenschaften eines Zwischenkörpers in Eigeschaften der zugehörigen Untergruppe transformiert:
Im Detail lassen sich die Beziehungen zwischen den Zwischenkörpern einerseits und den Untergruppen andererseits folgendermaßen beschreiben:
Insbesondere die letzte Aussage erlaubt es, "umfangreiche" Körpererweiterungen in "kleinere" Einzelschritte zu zerlegen. Dabei kann insbesondere auch eine Charakterisierung dafür gefunden werden, dass ein solcher Einzelschritt mit einer Primzahl als Erweiterungsgrad durch die Adjunktion einer einzelnen Wurzel erzeugt werden kann. Daraus lässt sich dann schließlich folgern, unter welchen Bedingungen eine Gleichung durch geschachtelte Wurzeln aufgelöst werden kann:
Eine "bescheidene" Frage ist natürlich noch offen: Wie wird eigentlich eine Galois-Gruppe, etwa zu einer gegebenen Gleichung, praktisch berechnet?
Ein Beispiel einer konkreten Berechnung einer Galois-Gruppe findet man in dem schon erwähnten Artikel Die Ideen der Galois-Theorie. In "moderner" Terminologie wird dazu zunächst zur Körpererweiterung L/K ein so genanntes primitives Element konstruiert (die klassische Bezeichnung lautet Galois-Resolvente), wobei es sich um ein Element a des Körpers L handelt, das bei alleiniger Adjunktion bereits den gesamten Körper L erzeugt: L = K(a). Zu diesem Element a sucht man nun ein Polynom minimalen Grades mit Koeffizienten im Körper K, das a als Nullstelle besitzt (das so genannte Minimalpolynom). Gelingt diese (in der Praxis nicht einfache!) Konstruktion, dann werden die Elemente der Galois-Gruppe Gal(L/K) durch die Nullstellen des konstruierten Polynoms repräsentiert: Zu jeder Nullstelle a' des Minimalpolynoms gibt es genau einen Automorphismus, der a auf a' abbildet.
Jörg Bewersdorff